Definitionen
Trauma:
„Ein Trauma entsteht dann, wenn das Opfer von einer überwältigenden Macht hilflos gemacht wird, es eine Bedrohung für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfährt. Ein psychisches Trauma ist immer begleitet von Gefühlen von intensiver Angst, Hilflosigkeit, Kontrollverlust und drohender Vernichtung.“
Posttraumatische Belastungsstörung:
Mögliche Folgen eines Traumas werden in der Diagnose Posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) zusammengefasst. Als mögliche Faktoren für ein PTBS werden in der Literatur u. a. Katastrophen wie zum Beispiel Überschwemmungen und Erdbeben, Kampf oder Kriege, Überfall, Folter, Vergewaltigung, sexualisierte Gewalt an Kindern genannt. Die einzelnen Symptome reichen von allen Formen von psychischen Störungen, wie z. B. Wahrnehmungsstörungen, Apathie, Depression, Angst- und Panikzustände, regressives Verhalten, Zwangshandlungen bis Halluzinationen. Im somatischen Bereich kann es zu chronischen Schmerzen, Schlafstörungen, Übelkeit, Appetitlosigkeit, Essstörungen, Atemstörungen, extreme Schwankungen aller Vitalwerte usw. kommen. zu kognitiven Störungen wie Verwirrung, Gedächtnis- oder Konzentrationsverlust kommen.
Trigger:
Schlüsselreiz oder Auslöser für unwillkürliche Erinnerungen, die von Neuem durchlebt werden müssen.
Einleitung
Gewalt, Hunger, Todesangst - fast zwei Drittel aller über 70-Jährigen haben im Krieg und in der unmittelbaren Nachkriegszeit traumatische Erfahrungen gemacht. Solche Erfahrungen sind für eine ganze Generation symptomatisch.
Was geblieben ist 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs können sich pflegende Familienangehörige und Pflegekräfte kaum noch vorstellen, was Kinder damals zu erleiden hatten. Und auch die wenigsten ehemaligen Kriegskinder führen ihre heutigen Leiden auf Erfahrungen im Krieg zurück.
Das Erlebte – wie im Folgenden beispielhaft aufgeführt – gehörte für sie zum Alltag. Unter Zehnjährige wurden zusammen mit der Mutter und jüngeren Geschwistern evakuiert. Über Zehnjährige erlebten Kinderlandverschickungen mit Trennung von der Mutter und der weiteren Familie.
Mehr als drei Viertel der heutigen 70- bis 90-Jährigen gerieten durch Bombardierung oder Beschuss in Lebensgefahr, hatten Angehörige durch plötzliche Trennung oder gewaltsamen Tod verloren und wurden mit Schwerverletzten, Sterbenden und Toten konfrontiert. Unter den Heimatvertriebenen waren über zwei Millionen Kinder und Jugendliche. Sie machten auf der Flucht Erfahrungen von Gewalt, Trennung und Verlust. Das (in)direkte Erleben von Vergewaltigungen war an der Tagesordnung. Die Gesamtzahl der Vergewaltigungen wird auf etwa 1,9 Millionen geschätzt.
In der Zeit nach dem Krieg lebten die Kinder in einer fremden bis feindselig eingestellten Umwelt (Sprache, Religion, Lebensgewohnheiten usw.), begleitet von Hunger oder Unterernährung, Verarmung, sozialem Abstieg der Eltern und beengten Wohnverhältnissen. Viele Kinder wuchsen in unvollständigen Familien auf: Im Frühjahr 1947 befanden sich noch 2,3 Millionen Kriegsgefangene in den Lagern der Alliierten und
900 000 in sowjetischen Lagern. Viele Kinder erlebten eine lang anhaltende väterliche Abwesenheit. Väter kehrten oft physisch oder psychisch verletzt zurück und blieben abgekapselt und unerreichbar.
Die Gefallenen oder Vermissten hinterließen mehr als 1,7 Millionen Witwen sowie fast 2,5 Millionen Halbwaisen und 100 000 Vollwaisen. Etwa ein Viertel der Kinder der Kriegsgeneration wuchs ohne Vater auf. Kinder wurden in der Folge mangelhaft betreut: Sehr langsam lief der Schulbesuch wieder an, sie lebten als „Schlüsselkinder“ und waren sich selbst überlassen. In Banden fanden sie Zusammenhalt, und das „Organisieren“ von Lebensmitteln und Heizmaterial sowie das Spielen auf Trümmerhaufen gehörten zu ihrem Alltag.
Untersuchungen belegen, dass diese Verlust- und Gewalterfahrungen bei Kriegskindern wiederum nicht selten zum Verlust des Selbstwertgefühls, zu Schuldgefühlen und Schamhaftigkeit sowie bis zur Unfähigkeit, anderen Personen noch zu vertrauen, führen können.
Auch gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. So ist bei den heute alten Frauen davon auszugehen, dass sie im Besonderen von häuslicher und sexualisierter Gewalt betroffen sind. Es gab für sie nicht nur Traumatisierung durch sexualisierte und andere Gewalt in der Kindheit, Vergewaltigungen in ihren Ehen und Beziehungen. Sie erlebten zusätzlich Massenvergewaltigungen im und nach dem 2. Weltkrieg, Zwangsprostitution in den Lagerbordellen der Konzentrationslager (z.B. in Sachsenhausen, Buchenwald und Auschwitz) und zwischen 1945 und 1948 Zwangsprostitutionen bei amerikanischen Soldaten. Männer dieser Generation waren häufig im 2. Weltkrieg an Kriegshandlungen direkt beteiligt. Sie haben miterlebt, wie Menschen umgebracht wurden, standen Todesängste aus, waren in Kriegsgefangenschaft, haben Folter und Verwundungen überlebt. Auch außerhalb des Krieges können sie Opfer von Misshandlungen in der Kindheit und Gewalttaten, wie zum Beispiel Überfälle und Raub geworden sein. Für Frauen und Männer waren gerade während des Nationalsozialismus weitere traumatische Erlebnisse, wie zum Beispiel Flucht und Vertreibung, Verschüttung, Bombenhagel, Verfolgung als Andersdenkende, Andersfähige, Homosexuelle, als Angehörige anderer Kulturkreise und Religionen, Inhaftierung in Konzentrationslagern möglich. Sie können Opfer sein von Zwangsmedikamentenversuchen und Zwangssterilisation und von weiteren Formen von traumatischen Gewalterlebnissen.
Umgang mit Traumata bei Kriegsende:
Individuelle Strategien – Verdrängung durch Arbeit, Alkohol, Medikamente
Bagatellisierung – es waren alle betroffen, Kinder vergessen schnell
Verleugnung - vielfach bei Opfern sexueller Gewalt, oftmals aus Scham
Über Jahre hinweg kann diese auch negative Lebenseinstellung wie Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit prägen und Traumata mit Persönlichkeitsveränderungen auslösen. Diese können auch mit chronischen körperlichen Symptomen, wie Schmerzen, oder psychischen Störungen, wie Unruhezuständen, Angsterkrankungen und Depressionen, einhergehen.
Hinzu kommt, dass im Alter die Gefahr der Re-Traumatisierungen steigt. Das bedeutet, dass bestimmte Auslöser wie Bilder, Aussagen, Begegnungen usw. dazu führen können, dass es zu einem blitzartigen, unbewussten Wiedererkennen einer alten, traumatischen Situation kommt. Diese wird dann vom Betroffenen als Realität angesehen. Hierdurch wird das alte Trauma reaktiviert. Das Erleben von damals setzt wieder ein, mit allen emotionalen Folgen. Als Beispiele seien genannt: Der Umzug ins Pflegeheim gleicht emotional dem Verlust der Heimat, Donnergrollen beschwört die Bombennächte von damals herauf, im engen Fahrstuhl wird das Bunkergefühl mit Angst vor Verschüttung lebendig, Schritte auf dem Flur zu marschierenden Soldaten usw.
Dieses kann zum Beispiel zu Situationen folgender Art führen:
Bewohner, die mit ihrem Handstock unter der Bettdecke schlafen
Frauen, die keine Berührungen zulassen können
Männer und Frauen, die immer einen gepackten Koffer im Schrank haben oder alle möglichen Dinge verstecken.
Oder die Bewohnerin, die bei der russischen Praktikantin auf einmal anfängt, Polnisch zu sprechen, und sich weigert, von ihr gepflegt zu werden
Bestimmte Pflegesituationen scheinen anfällig zu sein für solche Re-Traumatisierungen: Die Intimpflege kann die Ängste einer Vergewaltigungserfahrung wachrufen. Hilfestellungen beim Essen und Trinken erinnern vielleicht an Hungererlebnisse oder rufen die ausgeprägte Vorratshaltung auf den Plan. Medikamentengabe oder Fixierungen erinnern an erlebte Situationen aus Krieg und Diktatur.
Trauma-Reaktivierung und Trigger
Für Trauma-Reaktivierung oder Re-Traumatisierung gibt es verschiedene Auslöser bzw. Ursachen:
Verlust soziale Verluste Ehepartner, Netzwerk Familie, Arbeit, Struktur
Alterungsprozess Verlust von Autonomie, Gefühl des Ausgeliefertseins
Trigger führen zu Flashbacks, aktuelle Situation wirkt bedrohlich, keine Trennung zur Vergangenheit
.
So kann die Intimpflege bei einer Frau, die sexualisierte (Kriegs)Gewalt erfahren hat, die Erinnerung an das Erlebte wachrufen und dazu führen, dass die Pflegehandlung vehement abgelehnt wird und die Betroffene panisch reagiert. In einer solchen Situation ist also die Pflegehandlung zwar der Auslöser der Reaktion, die Betroffene selbst fühlt sich aber in die traumatische Situation zurückversetzt und agiert aus dieser für sie existenziell bedrohlichen Situation heraus.
Weitere Beispiele für Trigger:
Fass mich nicht an – Pflegehandlungen (z. B. Intimpflege)
Die Bomber kommen! – Fluglärm oder Sirenen
Wie damals bei uns... – Kriegsbilder im Fernsehen
Hier komm ich nie wieder raus – Eingeschlossen sein
klappernde Absätze auf dem Flur ( Soldatenstiefel)
weiße Laken oder Krankenhausumgebung ( Lazarett/Front)
Duschen ( KZ bei Holocaustüberlebenden)
Gerüche ( Ausscheidungen, Blut, Desinfektionsmittel)
Fremdsprachen
Dunkelheit usw.
Insbesondere eine Trauma-Reaktivierung kann die Pflegesituation stark beeinflussen.
Wichtig ist es hier, die Biographie des oder der Pflegebedürftigen zu kennen und diese evtl. mit zeitgeschichtlichen Ereignissen zu verknüpfen.
Bedeutung der Biografiearbeit
Es gibt Erinnerungen an traumatische Erlebnisse, die die heute alten Menschen jahre- manchmal jahrzehntelang verdrängt haben. Diese Erinnerungen können auftauchen, wenn sie ihre soziale Umgebung mit ihren individuellen Bewältigungsstrategien durch Alterungsprozesse, Kontrollverlust, einen Krankenhausaufenthalt oder ein Umsiedeln in ein Altenheim verlieren.
Dazu ist von Bedeutung, möglichst viel aus der Biographie eines Menschen zu erfahren, um eventuelle Rückschlüsse ziehen zu können. Desto mehr die Angehörigen an Auskünften geben können, desto besser. Ansonsten sind zwar die Symptome sichtbar, jedoch die Ursachen unbekannt.
Mögliche Spätfolgen einer Traumatisierung
Es gibt keine pauschal gültige Diagnose, ob und wie sich Spätfolgen entwickeln. Es hängt wesentlich von verschiedenen Faktoren wie dem individuellen Entwicklungsprozess, der physischen und psychischen Konstitution, der sozialen Unterstützung und den individuellen Erfahrungen des Einzelnen ab. Konkrete (mögliche) Spätfolgen sind:
Verhaltensweisen wie:
Gegessen wird, was auf dem Teller ist - Aufheben und Sparen das Kämpfen darum, die eigene Autonomie zu erhalten und das Vermeiden von Abhängigkeiten ‚Hart wie Krupp-Stahl, zäh wie Leder‘ - Vermeiden von Gefühlen, hart sein gegen sich selbst, allein in jeder Situation zurechtkommen
Psychische Störungen (PTBS, Depressionen, Ängste) wie: Nichts wird mehr gut, Bindungs-und Beziehungsstörungen, Vermeidung von Intimität und fehlendes Einfühlungsvermögen, Wohin gehst Du und wann kommst Du wieder? Symbiotische Bindung an den Partner/die Partnerin Weitgehende Isolierung >
Psychosomatische Störungen wie: Herz-Kreislaufbeschwerden Magen-Darmbeschwerden
Kriegstraumatisierungen und Demenz
Kriegstraumatisierungen und dementielle Erkrankungen bzw. die ‚Diagnose Demenz‘ können sich in verschiedener Hinsicht gegenseitig beeinflussen. Eine dementielle Erkrankung bringt sowohl Störungen der kognitiven Fähigkeiten wie Gedächtnis, Orientierung, Denken und Urteilsvermögen wie auch nicht kognitive Symptome wie Wahrnehmungsveränderungen, Veränderungen des Sozialverhaltens und der emotionalen Kontrolle mit sich. Der krankheitsbedingte fortschreitende Abbau kognitiver Fähigkeiten kann auch zu einem Abbau von Bewältigungs- und Abwehrmechanismen in Bezug auf Kriegstraumatisierungen führen. Dies wiederum kann es früheren traumatischen Erlebnissen leichter machen ‚an die Oberfläche zu steigen‘ und wieder ‚aktiv‘ zu werden. Möglich ist auch, dass Trauma-Spätfolgen aufgrund einer Demenzdiagnose verkannt werden. So können z.B. Reaktionen aufgrund einer Re-Traumatisierung als vermeintliche Wahnvorstellungen oder Halluzinationen interpretiert oder gerade bei mangelnder Kenntnis der Biographie der Betroffenen scheinbar unerklärliche Panikzustände als nicht kognitive Symptome einer Demenz ‚gelesen‘ werden bzw. zu einer vorschnellen ‚Diagnose Demenz‘ führen. Darüber hinaus ist es möglich, dass bei einer bereits bestehenden Demenzdiagnose alle ‚auffälligen‘ oder ‚herausfordernden‘ Verhaltensweisen durch die ‚Brille‘ der Demenz gesehen werden und so evtl. eine andere Ursache verkannt wird. Nicht zuletzt ist es außerdem möglich, dass eine dementielle Erkrankung selbst als Trauma-Reaktivierung wirkt. Ein zentraler Mechanismus, um die Erinnerungen an das traumatische Ereignis auch im weiteren Lebensverlauf abzuwehren, ist die Vermeidung der Gefühle Ohnmacht und Hilflosigkeit, da diese mit der Traumatisierung assoziiert werden. Der Alterungsprozess und der Abbau körperlicher und psychischer Fähigkeiten insgesamt können dazu führen, dass auch Betroffene sich zunehmend hilflos fühlen. Insbesondere dementielle Erkrankungen, die mit den Symptomen zunehmender Orientierungslosigkeit, Vergesslichkeit usw. ein Gefühl des Kontrollverlustes verursachen können, können Ohnmachts- und Hilflosigkeitsgefühle hervorrufen und so (Gefühls-)Erinnerungen an frühere traumatische Erlebnisse wachrufen.
7. Pflegerische Maßnahmen und Schwerpunkte
Wesentlich ist es, das Thema Kriegstraumatisierung als eine mögliche Erklärung für das Verhalten von pflegebedürftigen Menschen im Kopf zu haben. Hilfreich ist eine fragend-neugierige und respektvolle Haltung, die sensibel für Hinweise und offen für ein Gespräch ist, ohne zunächst zu deuten oder gar zu urteilen. Wichtig ist es auch, Gefühle, die in diesem Zusammenhang möglicherweise bei den Pflegebedürftigen aufkommen nicht u versachlichen, sondern diese Gefühle anteilnehmend zuzulassen und damit zu ‚gestatten‘. Dies gilt selbstverständlich auch für die Gefühle der Pflegekräfte. Allgemein kann das bedeuten: Das eigene Hintergrundwissen zu erweitern z. B. durch Selbstinformation oder Fortbildungen zu zeitgeschichtlichen Themen, um sensibel für mögliche Hinweise auf eine Kriegstraumatisierung zu sein. Auf Hinweise und ‚Chiffren‘ zu achten, z. B. • der/die Betroffene ist 1945 oder früher geboren • es ist (beispielsweise aus Schilderungen der Betroffenen) eine Fluchtgeschichte o. Ä. bekannt • spartanische Lebensführung bzw. rigoroses Sparen trotz ausreichender finanzielle Mittel • Ein- und Durchschlafstörungen, Alpträume • Ablehnen von aus professioneller Sicht notwendigen Hilfeleistungen.
Am wichtigsten ist es, die Angstattacken der alten Menschen ernst zu nehmen. Situationen, in denen sich Betroffene hilflos und ausgeliefert fühlen, sollten gar nicht erst entstehen. Wichtig ist für sie vor allem das Gefühl, dass sich jemand in ihrer emotionalen Not um sie kümmert. Sensibel zu sein bei pflegerischen Maßnahmen /ärztlichen Untersuchungen - Intime Körperpflege beispielsweise sollte an einem sicheren Ort und sichtgeschützt, möglichst von einer Pflegeperson des gleichen Geschlechts durchgeführt werden. Berührung der Betroffenen - Pflegebedürftige sollten, wenn möglich, nur auf eigenen Wunsch berührt werden bzw. nur an den ‚Sozialzonen‘ (Arme und Hände) In einer konkreten (Pflege)Situation, in der z.B. Abwehr auftritt, bedeutet das: Pflegehandlung unterbrechen - Beruhigen und Trösten - Sicherheit geben – im Anschluss behutsames Hinterfragen
Da ein Trauma beim Opfer ein Gefühl der Ohnmacht und des Kontrollverlustes auslöst, ist es von grundlegendster Bedeutung, dass die alten Frauen und Männer ihre Stärke und Kontrolle über sich und ihren Körper und ihr Leben wiedererlangen, soweit dies möglich ist. Das allerwichtigste ist also, dass sie Sicherheit bekommen. Diese Sicherheit können sie erhalten, indem sie autonom handeln bzw. über sich und ihren Körper zumindest mit bestimmen können und anderen Menschen wieder vertrauen lernen. Uns vertrauen können sie nur, wenn wir in der Pflege, im ärztlichen und therapeutischen Umgang möglichst Situationen verhindern und vermeiden, die traumatische Erinnerungen wach rufen lassen können. Dies kann uns nicht immer gelingen, da es in der Natur der Pflege, der Diagnostik, und der Therapie liegt, dass es zu Grenzüberschreitungen kommt. Da ist es dann wichtig, ihnen hilfreich zur Seite zu stehen, wenn bei ihnen traumatische Erinnerungen wach geworden sind und sie mit den vielfältigsten Symptomen reagieren.
Das tun wir, indem wir ihre Verhaltensweisen und ihre Symptome, seien sie nun körperlicher oder psychischer Art, erst einmal als mögliche Reaktionen hinterfragen. Als Reaktionen auf Gegebenheiten um sie herum und vielleicht auch auf unsere Maßnahmen oder unseren Umgang mit ihnen. Wichtig ist, zu überdenken, warum sich ein alter Mensch gegen bestimmte Dinge wehrt oder was ihn veranlasst, sich in einer bestimmten Form zu verhalten.
So ist es unabdingbar, stets die Intimsphäre von ihnen bei der Pflege, Behandlung und Diagnostik mit z. B. einer spanischen Wand als Sichtschutz zu wahren und zu schützen. Lärm, Hektik, Pflege zu zweit, invasive Handlungen wie das Legen von Dauerkathedern, rektale und orale Pflege und diagnostische Maßnahmen, Fernsehfilme über Krieg und Gewaltverbrechen, Licht, das Schatten wirft, verschlossene Türen (oder auch nicht abschließbare Türen) auf der Station, Lärm usw. können Erinnerungen mit den entsprechenden Gefühlen hervorrufen und sollten möglichst vermieden werden. Auch können wir z. B. eine pflegerische, eine bestimmte diagnostische oder therapeutische Maßnahme unterbrechen, wenn wir ein Abwehrverhalten bemerken und den Nutzen einer Maßnahme noch einmal hinterfragen. Dadurch wird den traumatisierten Menschen – auch und gerade dementen - deutlich gemacht, dass ihr Abwehrverhalten und ihre Bedürfnisse wahrgenommen und akzeptiert werden. Es muss ja nicht heißen, dass die Maßnahme, die wir gerade durchführen wollen, schlecht ist. Es ist vielleicht einfach so, dass sie für diesen alten Menschen in diesem Moment und in dieser Umgebung und in dieser Form und von dieser Person durchgeführt vielleicht eine Erinnerung an ein traumatisches Erlebnis hervorruft. So haben wir also auch die Möglichkeit an vielen Punkten etwas zu verändern. An der Form der Maßnahme: wenn die alte Frau sich gegen das Essen oder die Körperpflege wehrt, vielleicht einmal probieren, ihre Hand zu führen, so dass sie sich selbst das Essen gibt und sich wäscht. Oder wir probieren statt der Dusche die Badewanne, weil der alte Mann erlebt hat, dass seine Kameraden im KZ unter der Dusche vergast wurden. Oder wir probieren bei der alten Frau statt der Badewanne die Dusche, weil sie, als sie ein Kind war, in der Badewanne von ihrem Vater missbraucht wurde. Vielleicht ist auch der Zeitpunkt schlecht, weil es morgens zu hektisch und zu laut ist und der alte Mann dadurch an seine Arbeitsstelle erinnert wird, wo er bei einem morgendlichen Unfall sein Bein verloren hat. Das Schwierige an unserer Arbeit ist oftmals, dass die alten Menschen uns dies alles aus den unterschiedlichsten Gründen nicht sagen können oder wollen. Hier müssen wir aufmerksam sein und lernen, anders hinzuschauen und Verhaltensweisen von alten Menschen nicht so oft in die Schublade: dement, altersverwirrt, altersdepressiv und so weiter zu stecken.
Wenn wir viele alte Frauen und Männer als aggressiv, verwirrt, apathisch, unruhig oder depressiv erleben, können wir uns nun vorstellen, dass sie womöglich eine traumatisierte Geschichte haben. Diese können wir ihnen nicht nehmen! Allerdings können wir sie unterstützen und sie in ihren Gefühlen und Ängsten liebevoll und kompetent begleiten anstatt sie alleine zu lassen.